In der Medina von Fès scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Wer dort in das Gewirr der über 9000 Gassen eintaucht, fühlt sich ins islamische Mittelalter zurückversetzt. Der älteste Teil von Fès wurde nämlich bereits um 800 n. Chr. von Moulay Idriss I., dem angeblichen Urenkel der Prophetentochter Fatima, gegründet. Umgeben vom Hauch der Geschichte lassen wir uns treiben und erleben in Fès eine Explosion der Sinne.
Nachdem wir das Rifgebirge hinter uns gelassen haben, geht es auf unserer Motorradreise weiter nach Fès. Die drittgrößte Stadt Marokkos hat rund 1,1 Million Einwohner und ist die älteste der vier Königsstädte. Durch seine Geschichte und Kultur besitzt Fès noch heute eine Vorrangstellung als religiöses und intellektuelles Zentrum des Maghreb.
In einem familiär geführten Riad am Rande der Medina verbringen wir unseren Aufenthalt. Die Altstadt ist von dort in nur fünf Minuten zu Fuß erreichbar und eine bewachte Parkgarage befindet sich direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite, sodass wir unser Motorrad sicher abgestellt wissen. Obwohl wir auf der gesamten Reise keinerlei negative Erfahrungen mit Diebstahl gemacht haben, schläft es sich trotzdem besser, wenn das treue Reisegefährt nicht auf offener Straße parken muss.
Kapitel #1: Kurze Geschichte
Kapitel #2: Rundgang in der Medina
Kapitel #3: Sehenswürdigkeiten
Kapitel #4: Aussichtspunkte
Kurze Geschichte von Fès
Fès ist nicht eine Stadt, sondern es sind drei Städte, die ineinandergreifen wie ein Puzzle und jeweils einer Epoche der Stadtgeschichte zugeordnet werden können. Neben der von den Kolonialherren angelegten Neustadt liegt die Medina, die sich in Fès el-Bali (Alt-Fès) und das jüngere Fès el-Jdid spaltet.
Fès el-Bali, das 'alte Fès' wurde bereits um 800 n. Chr. von den Idrissen gegründet. Moulay Idriss I., der angebliche Urenkel der Prophetentochter Fatima, legte den Grundstein zur Stadtgründung, indem er seine Gefolgschaft am Qued Fès (Fluss, der durch Fès fließt) in einem Lager sammelte. In seiner Funktion als Imam trieb Idriss I. im 8. Jahrhundert die Islamisierung und Arabisierung des Maghreb voran. Sein Sohn Moulay Idriss II. baute das Militärlager am Fluss zur Hauptstadt des Reiches aus. Gebildete Araber aus Kairouan (Tunesien), erfahrene Kunsthandwerker aus dem Kalifat Córdoba und geschäftstüchtige Juden ließen Fès in den darauffolgenden Jahrhunderten erblühen.
Fès el-Jdid, das Fès des Mittelalters, ist der Zeit der Meriniden-Sultane des 13. und 14. Jahrhunderts zuzuordnen. Die Meriniden, die Fès im Jahr 1248 eroberten, schufen ein neues Palast- und Regierungsviertel, umgaben die alte Medina mit neuen Mauern, errichteten aufwendige Grabmäler auf einem Hügel oberhalb der Stadt und gründeten eine Vielzahl von Medersen (Koranschulen), in denen sie den Nachwuchs für hohe Ämter in Justiz und Staatsverwaltung ausbilden lassen wollten.
Die Ville Nouvelle ist die von den französischen Kolonialherren angelegte Neustadt. Dieser Stadtteil ist geprägt von Häusern im Kolonialstil, geometrisch angelegten Straßen mit Palmenalleen und breiten Avenues mit mondänen Geschäften, Verwaltungsgebäuden und belebten Straßencafés.
Bis 1912 war Fès politischer, wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt Marokkos. Als die Franzosen das Machtzentrum nach Rabat und Casablanca verlegten, blieb Fès dennoch das geistige Zentrum des Landes. Diese Ruf hat die Stadt vor allem der bereits im 10. Jahrhundert gegründeten Kairaouine-Universität und -Moschee zu verdanken. Die Bildungseinrichtung hatte großen Einfluss auf die kulturellen Beziehungen zwischen Europa und der islamischen Welt.
Rundgang in der Medina
Drückende Hitze und ein feiner Dunstschleier liegen über der Medina von Fès. Wie in einem Bienenschwarm summt darin das Leben. Zentrum der Geschäftigkeit sind die souks, orientalische Märkte, in deren Labyrinth sich alles abspielt. Als wir in dieses Labyrinth eintreten, scheint sich eine völlig andere Welt aufzutun.
Eindringliche Geräusche, betörende sowie unangenehme Gerüche, unzählige Farben und Staub, der sich nach und nach auf der verschwitzten Haut ablegt. Sonnenstrahlen fallen durch die geflochtenen Dächer der schmalen Gassen und zeichnen geheimnisvolle Lichtmuster auf die Pflastersteine. Das Hämmern der Kupferschmiede, klappernde Eselshufe und die ewig gleichen Rituale des Handelns - begrüßen, feilschen und grünen Tee kredenzen - das alles prasselt völlig unerwartet auf uns ein. In der ersten halben Stunde wissen wir nicht, ob wir diese orientalische Überflutung der Sinne lieben oder hassen sollen. Aber wir lassen uns darauf ein und treiben mit der Menge vorbei an Geschäften, Werkstätten und kleinen Cafés, wo hauptsächlich Männer in geselliger Runde beisammensitzen.
Fès ist viel authentischer und ursprünglicher als Marrakesch, wobei ein Vergleich dieser beiden Städte wie jener von Äpfeln mit Birnen ist - vergeblich. Jede Stadt in Marokko hat ihren eigenen Flair. Vielleicht hat uns Fès deshalb so berauscht, weil es die erste Stadt auf unserer Marokkoreise war, die wir besichtigten. Jedenfalls empfand ich Fès als rauer und weniger nach Anerkennung haschend als Marrakesch.
Sehenswürdigkeiten
Für die Besichtigung der Sehenswürdigkeiten in Fès nehmen wir uns einen ganzen Tag Zeit. Zu wenig, um alles zu entdecken, aber ausreichend für einige Highlights. Selbstbewusst entscheiden wir, die Altstadt ohne Guide zu erkunden und ahnen dabei nicht, dass wir uns im Gewirr der Gassen verlaufen werden und Google Maps wegen fehlendem GPS-Empfang nicht funktioniert. Als die Verzweiflung groß genug ist, vertrauen wir uns einem Einheimischen an, der uns wieder auf eine der Hauptstraßen zurückbringt, jedoch nicht, ohne dafür Geld zu verlangen. Leider wissen wir noch nicht, wie viel in Marokko alles wert ist und so werden wir in der ersten Reisewoche bei jeder Gelegenheit abgezockt. Aber Fès war eine gute Lehrmeisterin und bald tappen wir nicht mehr in jede Touristenfalle.
Das Blaue Tor
Das Bab Bou Jeloud ("Blaues Tor") ist der Haupteingang zur Medina von Fès el Bali. Es wurde im Jahre 1913 im maurischen Stil errichtet und außen mit blauen (Farbe der Stadt Fès) und innen mit grünen Mosaiken (Farbe des Islam und des Paradieses) verziert. Das Tor ist eines der Wahrzeichen von Fès.
Medersa Attarine
Unmittelbar neben der Kairaouine-Moschee im verwinkelten Souk Attarine (Souk der Gewürz- und Parfumhändler) liegt die Medersa Attarine, ein Juwel merinidischer Kunst aus dem 14. Jahrhundert. Sie ist die kleinste, aber vielleicht schönste Medersa von Fès.
Die von außen unscheinbar wirkende Koranschule besteht aus mehreren Gebäudeteilen: einem Vorraum, einem etwa 7 x 10 Meter messenden Innenhof mit Brunnenschale aus Marmor in der Mitte, einem angrenzendem Gebetsraum (ca. 5 x 6 Meter) mit östlicher ausgerichteter Mihrab-Nische (Gebetsnische in Moscheen) und einem Annexraum (Anbau), in welchem sich die Wohn- und Schlafzellen der Schüler befunden haben und die völlig schmucklos sind.
Der Ornamentschmuck der Medersa zeigt beinahe ausschließlich abstrakt-geometrische Motive. Figürlicher Schmuck fehlt völlig, da es im Islam ein Bilderverbot gibt.
Das Gerberviertel
Eine der faszinierendsten und zugleich schauderhaftesten Sehenswürdigkeiten in Fès ist das Gerberviertel. Hier werden seit Jahrhunderten mit archaischen Methoden Tierhäute zu feinstem Leder verarbeitet. Wir lassen uns zunächst von einem Führer auf eine der Dachterrasse bringen, von wo man freien Blick auf das Viertel hat und gleichzeitig Abstand von dem dort herrschenden Schmutz und Gestank. Für ein paar Dirham kaufen wir ein Büschel Pfefferminze, das man sich unter die Nase reiben soll. Doch wir gewöhnen uns rasch an die Gerüche und wagen uns einen Stock tiefer, mitten hinein in das Geschehen.
In einer Vielzahl von in den Boden eingelassenen Betonbottichen, die mit Kacheln ausgekleidet sind, werden zunächst mit Hilfe von ätzenden Kalklaugen Haare und Fleischreste entfernt. Um die Häute weich und geschmeidig zu machen, werden sie anschließend in Säurebädern gebeizt.
Anschließend werden die Häute in kleinen, dunklen Kammern mit Hilfe von vor der Brust geführten Schabern von letzten Haarresten und Hautschuppen entfernt. Dies ist eine wahrhaft schweißtreibende Arbeit, wie Kevin am eigenen Leib erfahren durfte.
Danach beginnt der Prozess der Färbung, das heißt, die Häute werden erneut für einige Tage in die mit Wasser und Farbpigmenten gefüllten Bottiche gelegt und immer wieder mit den Füßen gewalkt. Zu guter Letzt wird das fertige Leder mit Eseln in die Stadt zu den weiterverarbeitenden Betrieben transportiert.
Place Nejjarin
Die winzige Place Nejjarin ist eine der wenigen Plätze innerhalb der Medina, die erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstand. In dem Fondouk (Karawanserei) befindet sich heute ein Museum für hölzernes Kunsthandwerk. Wunderschön ist auch der gekachelte Brunnen, der den Platz zu einem beliebten Fotomotiv macht.
Place Seffarine
Die kleine Place Seffarine bildet das Zentrum des souks der Kupferschmiede, deren Hämmern man schon von Weitem hört.
Aussichtspunkte
Der Vorteil des Reisens mit dem Motorrad liegt darin, absolut flexibel zu sein und jeden erdenklichen (Aussichts-)punkt zu erreichen! So machen wir uns vor Sonnenuntergang auf zur Tour de Fès, um die Stadt am letzten Abend noch einmal aus der Vogelperspektive bewundern zu können.
Der erste Aussichtspunkt, an den wir uns begeben, ist das Borj Sud. Die Festungsanlage entstand im 16. Jahrhundert während der Herrschaft des Saadier-Sultans Ahmad al-Mansur nach portugiesischem Vorbild. Von hier bietet sich ein tolles Panorama über die drei Stadtteile von Fès.
Nördlich der Medina befinden sich auf einer Anhöhe die Ruinen der Meriniden-Gräber aus dem 14. Jahrhundert. Die ehemaligen Kuppelbauten waren über 20 m hoch und reich geschmückt. Leider ist von den Verzierungen heute nichts mehr zu sehen. Im warmen Licht der Abendsonne genießen wir den Ausklang unserer Zeit in Fès.
Unser Unterkunft-Tipp:
Wir nächtigten im Riad Dar Senhaji, welches von einer unglaublich herzlichen Familie geführt wird. Die Mutter des Hauses hat uns mit ihrem Humor und ihrer Gastfreundschaft den Aufenthalt sehr angenehm gemacht. Das Beste war das Frühstück mit frisch gepresstem Orangensaft, picksüßem Konfekt, Omelette und leckeren Crêpes. Eine bewachte Parkgarage befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite und bis in die Medina sind es nur wenige Minuten zu Fuß.
Für diesen Blogbeitrag habe ich folgende Quellen verwendet:
Betten, Arnold: Marokko. Antike, Berbertraditionen und Islam. Geschichte, Kunst und Kultur im Maghreb. DuMont Reiseverlag. 5. aktualisierte Aufl. Ostfildern 2012.
Astrid Därr: Marokko on Tour. 20 individuelle Touren durch das Land. Polyglott Reiseführer. München 2019.
https://dewiki.de/Lexikon/Madrasat_al-ʾAttārīn (aufgerufen am 16.08.2022)
Habt ihr Fragen, so schreibt mir gerne eine persönliche Nachricht in den Chat oder als Mail bzw. in das Kontaktformular. Ich freue mich auch über viele Kommentare zu diesem Beitrag.
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